Lieber Jochen,

im Januar 2022 bist du plötzlich verstorben und ich möchte dir noch etwas mit auf den Weg geben. Nämlich meinen unendlichen Dank. Du bist es, der mir etwas über Macht oder besser Ermächtigung beigebracht hat.

Wie mächtig habe ich mich gefühlt, wenn ich mit x-tausend anderen Menschen auf der Schiene gesessen habe und Nacht für Nacht in der Kälte ausgeharrt habe. Mein heißes Herz und unsere Überzeugung wärmten von innen.

Ermächtigung. Was für ein tolles Wort. Da ist so viel von aufstehen und aufrecht sein drin. Genauso habe ich dich und dann auch mich erlebt. Der Flyer von x-tausendmal quer mit dem kleinen Text zur Gewaltfreiheit ist in mein Leben eingeschlagen wie ein Feuerwerk welches mir den Weg zur Macht eröffnete. Zwar war ich nur eine – und keine Bundeskanzlerin – aber eine von vielen, die mit ihrem Einsatz die Räder der Welt beeinflussen. Ende diesen Jahres gehen in Deutschland die letzten AKWs vom Netz. Die Macht der vielen.

Kein anderer wie du konnte so groß denken um diese Macht zur Entfaltung zu bringen. Du hast es mit den Menschen, die eng um dich herum waren geschafft, die Massen und damit die Politik und die Geschicke der Welt zu bewegen. Und dass bei so einem großen Thema wie der Atomkraft, wo man meinen könnte, dass man eh keinen Einfluss nehmen kann. Kann man aber und ich werde dir mein Leben lang dankbar sein, dass du mir nicht nur gezeigt hast, wie es geht, sondern ich es mit dir erlebt habe.

Danke Jochen.

Ohne Eure Entscheidung eine gewaltfreie Strategie zu wählen, statt in den Untergrund zu gehen, wäre ich in meinem Leben niemals da wo ich jetzt bin.

Die Gewaltfreiheit hat sich in meinem Leben ausgebreitet wie ein Teppich auf dem alles Weitere entstanden ist, was ich jetzt bin.

Mein Leben wäre ohne dich ein ganz anderes.

Jetzt sind mir die Ideen von King und Gandhi und Hildegart Goss-Mayer in Fleisch und Blut übergegangen und spiegeln sich in meiner Haltung zur Welt wider. Mit dir habe ich Widerstand gelernt, gegen Dinge, die scheinbar nicht zu beeinflussen sind, um festzustellen, dass sie es doch sind.

Dann kam die Nachricht deines Todes und mein erster Impuls war: NEIN – WIDERSTAND.

Um sofort darauf zu erkenne, dass dem Tod gegenüber Widerstand zwecklos ist. Und doch hätte ich mich an jedem Widerstand beteiligt, wenn er auch nur die kleinste Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Aber der Tod lächelt nur müder darüber.

Also suche ich dich und deine Überzeugungen und deine Willensstärke und Visionskraft in meinem Herzen, in meinen Worten und in meinen Taten.

Danke Jochen, dass du mit mir ein Stück des Lebensweges gegangen bist.

Deiner Wirkung wird nicht vergehen.

In tiefer Liebe und Dankbarkeit.

Deine Anja

 

Jochen Stay war Mit-Begründer von .ausgestrahlt und der Inititative x-tausendmal quer.